Vladimir Horowitz „Horowitz the Poet", © 1991 Thomas Frost
Franz Schubert (1797-1828)
Piano Sonata in B flat major/ Klaviersonate B-Dur/Sonate pour piano en si bemol majeur, D 960
1. Molto moderato [19'13]
Pianist: Vladimir Horowitz
Record: New York, RCA Studio, 2 & 3/1986
Für die zweite Studioaufnahme der achtziger Jahre wählte Horowitz Schuberts letzte, monumentale Klaviersonate B-dur D 960 (op. post.), Mozarts Rondo D-dur und sein Adagio h-moll sowie kleinere Stücke von Schubert. Noch während der Schlußarbeiten zu diesen Aufnahmen im März 1986 hatte Horowitz jene Reihe internationaler Konzerte begonnen, die in dem historischen Moskauer Auftritt vom 20. April 1986 gipfelte. Als er nach dem Triumpf in Moskau und den ausverkauften Konzerten in Berlin, Hamburg, Amsterdam und London nach New York zurückkehrte, schien er das Interesse an der Aufnahme der Schubert-Sonate verloren zu haben, wollte aber die Einspielung der beiden Stücke von Mozart wiederholen, denn diese hatte er bei einigen Konzerten seiner Europatournee gespielt und dabei weiter an der Interpretation gearbeitet. Und da seine ganze Leidenschaft nunmehr Mozarts Klavierkonzert A-dur KV 488 galt, das wir dann im März 1987 in Mailand einspielten, blieben die Aufnahmen sowohl der Schubert-Sonate als auch der kleineren Stücke unfertig liegen. Im Dezember 1988 wiederholte Horowitz tatsächlich die Aufnahmen von Mozarts Rondo und Adagio, wählte aber als zentrales Stück der nächsten Einspielung mit dem Titel "Horowitz at Home" Mozarts Sonate KV 281. Die Sonate von Schubert sollte anscheinend vergessen werden.
Nach Horowitz' Tod schien es an der Zeit, seine unveröffentlichten Aufnahmen in den Archiven zu sichten, und die Schubert-Sonate stand hier zweifellos mit an erster Stelle. Die Entscheidung, diese Einspielung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wurde von Frau Wanda Toscanini Horowitz gebilligt, die sein Spiel besser als jeder andere kennt.
Ich erinnere mich gut an die Aufnahmesitzungen. Sie fanden im Februar und März 1986 in den Studios der RCA in New York statt. Horowitz war in bester Stimmung, spielte mit geradezu kindlichem Vergnügen und genoß die Reaktion der Würdenträger von der Deutschen Grammophon, die hereinschauten, und der Freunde, die er eingeladen hatte. Jede Sitzung begann mit einer langen Aufwärmphase, in der er frei improvisierte und Teile aus dem enormen pianistischen, symphonischen und dem Opern-Repertoire anklingen ließ, das er unauslöschlich im Gedächtnis hatte. Er spielte sich nie mit der Schubert-Sonate oder einem der anderen Stücke ein. Für die Aufnahme selbst wollte er völlig frisch und spontan sein. Die einzelnen Takes waren eigentlich Konzertmitschnitte, denn Horowitz spielte für uns alle, die wir im Kontrollraum saßen, und wandte sich nicht an das seelenlose Mikrophon, das die Künstler so häufig fürchten. Er spielte während der verschiedenen Sitzungen die Sonate viermal von Anfang bis Ende und widmete sich in einer der letzten nur kurze Zeit einigen wenigen Einzelpassagen. Selten wollte er das Gespielte noch einmal hören. In den Pausen plauderte er lieber locker und humorvoll mit seinem "Publikum".
Es ist interessant, einmal auf die Unterschiede zwischen der vorliegenden Einspielung der B-dur Sonate und dem Mitschnitt eines Konzerts zu achten, das am 25. Februar 1953 in der Carnegie Hall aus Anlaß des 25. Jahrestages von Horowitz' Amerikadebut stattfand. Ich meine, dass die dazwischen liegenden 33 Jahre Horowitz der Musik Schuberts nach Geist und Buchstaben näher gebracht haben. Eine ganz objektive Feststellung betrifft die ausgedehnte Exposition des ersten Satzes: In der Aufführung von 1953 ließ Horowitz die Wiederholung weg, spielte sie dagegen für die Aufnahme von 1986. Wir dürfen vermuten - ohne dem Pianisten Horowitz Unrecht zu tun -, dass er fürchtete, der erste Satz könnte mit der Wiederholung für ein Konzertpublikum zu lang werden. Schon ohne die Wiederholung dauert er länger als 14 Minuten; die Wiederholung der fünfminütigen Exposition bringt die Spielzeit auf mehr als 19 Minuten. 1986 war Horowitz jedoch unerbittlich: Schubert hat einen ersten und einen zweiten Schluß der Exposition geschrieben, und das Weglassen der Wiederholung hätte den Verzicht auf neun Takte hochdramatischer Musik bedeutet. Mir persönlich scheint, dass Horowitz sich in seiner letzten Einspielung aufgeschlossener für die Wärme und das Gefühl in dieser Musik zeigt. Sein Spiel hat einen stärker schubertschen Ton. Die Tempi sind gemächlicher, und es kommt eine tiefere Einsicht in die hohe musikalische Botschaft, in das Lyrische und Poetische des Komponisten zum Ausdruck.
Thomas Frost
I do not own a copyright for the music.
Produced by Deutsche Grammophon GmbH, Hamburg
Music: © 1991 Thomas Frost
Ещё видео!