Rainer Noll spielt das 1878 enstandene Cantabile H-dur FWV 36 vom César Franck (1822 - 1890) auf der Cavaillé-Coll-Orgel (1885) in St. Etienne in Caen (Normandie) - aufgenommen mittels "Hauptwerk-Sampleset" am 11.4.2019 auf der Hausorgel im Erbacher Hof Nordenstadt.
Rainer Noll schreibt dazu:
Auf mich wirkt diese Musik wie eine wehmütige Erinnerung an eine unglückliche Liebe, die in verklärtem Rückblick vergoldet wird.
Man denkt an Chopins Äußerung über den 2. Satz seines e-moll-Klavierkonzertes:
"Es soll den Eindruck vermitteln, als schaue man auf einen Ort, der in einem tausend zauberhafte Erinnerungen wachruft …"
Also romantisch, ruhig, melancholisch; es soll den Eindruck eines liebevollen Hinblickens auf eine Stätte machen, die tausende von angenehmen Erinnerungen aufsteigen lässt, die man aber doch verloren weiß. Es ist wie ein Hinträumen im fahlen Silberlicht einer stillen Mondnacht. Oder anders: die Klänge müssen durch den Raum schweben wie aufsteigende Weihrauchschwaden im Dämmerlicht der untergehenden Abendsonne.
Nur weil das Werk keine virtuosen Passagen enthält, urteilt Marie-Louise Jaquet-Langlais: "Das technisch leichteste der Franckschen Orgelwerke". Dem kann ich überhaupt nicht zustimmen, denn mancher virtuose Flitter spielt sich leichter als dieser harmonisch komplexe Satz mit seinen mehrmaligen Dezim-Griffen und dem Spiel mit einer Hand auf zwei Manualen gleichzeitig, um das erforderte Legato zu ermöglichen (und genau in diesem möglichst absoluten Legato besteht generell die technische Schwierigkeit dieses Stückes - weit entfernt vom Können eines Anfängers, ganz abgesehen von der nicht ganz einfachen Lesart mit 5 Kreuzen, vielen Doppelkreuzen und enharmonischen Verwechslungen).
Ein Verdichtung wird in der Mitte des Werkes erreicht, wenn Franck die Melodie im Tenor statt mit Zugenstimmen (wie bisher und am Ende) mit satten Labialstimmen erklingen und mit Zungenstimmen wie von einem Bläsersatz begleiten lässt. An dieser Stelle beteiligt sich zusätzlich das Pedal motivisch an dem kontrapunktischen Geflecht.
"Es ist nur schwer vorstellbar, mit welcher großen Freiheit César Franck seine Orgelwerke spielte", berichtet Adolphe Marty, der 1886 seine Studien bei Franck beendete. Ein anderer Franck-Schüler, Charles Tournemire, bestätigt in Bezug auf Franck: "Vergessen wir das Metronom ganz und gar!" Diese Spielweise kann man noch erleben, wenn man z.B. Vladimir Horowitz Bachs "Nun komm, der Heiden Heiland" in der Busonischen Klavierfassung spielen hört. Dieser Interpretationsart fühle auch ich mich bei Franck im Rahmen des "bon goût" verpflichtet.
