Vor 25 Jahren töteten bosnisch-serbische Truppen in Srebrenica 8.000 männliche Muslime und deportierten und vertrieben Zehntausende. Bis heute konnte keine Aussöhnung stattfinden.
Es sind neun grüne Särge, die bereitstehen, damit die Beerdigung von statten gehen kann. Neun von mehr als 8.000 Bosniaken, die vor 25 Jahren von bosnischen Serben erschossen wurden.
An einem Sarg steht Hasiba Musić und wischt sich mit einer Ecke ihres Kopftuches durch die Augen. In dem Sarg liegt ihr Mann. Trauer und Erleichterung, sagt sie, das seien ihre Gefühle. Endlich kann sie ihm eine würdige Bestattung geben - 25 Jahre hat sie darauf gewartet. Würdig, soweit das geht. Ihr Mann sei "unvollständig".
Das jüngste Opfer von Srebrenica war 13 Jahre alt
Srebrenica ist das größte Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Unbeschreiblich sind die Grausamkeit und das menschliche Versagen, das es möglich machte: Die UN-Schutzzone Srebrenica wurde am 11.7.1995 von bosnischen Serben eingenommen.
Niederländische Blauhelme hatten den Truppen von Ratko Mladic nichts entgegen zu setzen. Internationale Reaktionen blieben aus, als die bosnischen Serben Frauen und Kinder von ihren Männern trennten. Kameras hielten fest, ganz Europa sah, wie die Männer abgeführt wurden. Über Tage wurden sie in den Wäldern erschossen. Der jüngste unter ihnen war 13 Jahre alt.
Dass es Völkermord war, wollen viele Serben nicht anerkennen
Noch heute sind die Massengräber nicht vollständig ausgehoben. Und jedes Jahr werden neu identifizierte Opfer in Srebrenica begraben. Es sind schon tausende weiße Stelen, die hier stehen, wie ein Meer aus Leid. Und jedes Jahr werden es mehr.
Corona zum Trotz kommen zum heutigen Jahrestag Angehörige und Vertreter aus aller Welt - oder sie schicken Videobotschaften. Nur zwei wichtige Vertreter fehlen - von der serbischen Teilrepublik in Bosnien-Herzegowina und derjenige des Nachbarlandes Serbien. Denn dass das Massaker von Srebrenica ein Völkermord war, das wollen die Regierungen dieser serbischen Einheiten nicht anerkennen.
Steinmeier wirbt für Versöhnung
In Bosnien-Herzegowina, diesem Staat mit drei Präsidenten, von jeder Volksgruppe einer, hat der serbische Vertreter erst kürzlich verhindert, dass der heutige Tag ein Staatstrauertag ist.
Aufarbeitung ist zentraler Baustein der Versöhnung, mahnt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Videobotschaft: "Es gilt neue Brücken zu bauen, wo alte zerstört wurden. Vertrauen zu schaffen, wo hasserfüllte Kriegsrhetorik gegeneinander aufgewiegelt hat. Das Gespräch zu suchen, wo lange kein Wort mehr gesagt wurde", so der Bundespräsident.
Was in Srebrenica passierte, ist kein Teil serbischer Lehrpläne
In der alten Batteriefabrik, die vor 25 Jahren das Hauptquartier der niederländischen Blauhelme war, ist heute ein Memorial Center. Dort, wo Bosniaken keinen Schutz fanden, wird heute Erinnerung bewahrt und weitergegeben. Emir Suljagić ist hier Direktor. Er sagt, im heutigen Bosnien-Herzegowina sei das Brücken bauen fast unmöglich. "Bei uns werden unverurteilte, ja sogar verurteilte Kriegsverbrecher nach Ende ihrer Gefängnisstrafe wieder gewählt!", sagt er und plädiert für eine Verstärkung der Staatsanwaltschaft, um Kriegsverbrechen vor Gericht zu bringen.
Serbische Mitbürger werden selten im Srebrenica Memorial Center gesehen, in den serbischen Schulen des Landes - man unterrichtet getrennt nach Volksgruppen - ist der Völkermord nicht Teil des Lehrplans.
Die Begräbnisse spenden einen gewissen Trost
"Es ist unser Land und damit unser Problem", sagt Emir Suljagić, "aber wir schaffen es nicht allein. Denn die internationale Gemeinschaft kann nicht von uns verlangen, dass wir uns an einen Tisch setzen mit Leuten, die Ratko Mladić glorifizieren. Da könnte Druck von außen schon helfen."
Dieser Tag aber gehört der Trauer: Vertreter aller Religionen beten für die über 8.000 Toten von Srebrenica. Neun Särge werden in das Stelenmeer versenkt. Die Angehörigen haben nun den einen Trost: zu wissen, wo ihr Mann, ihr Vater, ihr Sohn begraben ist.
ZDF - 11.07.2020
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