In der Studentenbewegung liegt kein ökonomisches, sondern ein politisches Motiv vor: der Wunsch zum aufrechten Gang. Dieses Element kommt aus dem bürgerlich-klassischen Naturrecht, das Modell des aufrechten Mannes, der sich nicht abrichten lässt, der nicht den Hut abzieht, Wilhelm Tell oder Don Carlos. Die Studentenbewegung ist keine anarchistische Bewegung, denn man ist mit den Autoritäten nicht einverstanden, mit Autorität an sich jedoch schon. Nicht nur an den Universitäten, sondern im ganzen überspezialisierten, arbeitsteiligen Dasein fehlen die Fernziele. Man weiß, was man gleich will, aber nicht, was man überhaupt will. Das Fehlen moralischer Quellen des Lebensmutes bringt melancholische Unruhe. Was aber ist nun die Rolle der Intelligenz auf dem Schachbrett des gesellschaftlichen Lebens? Ist es die des Königs? Oder die des Springers? Oder die des stillen Bauern? Wenn Gesellschaft aus Über- und Unterbau besteht, dann ist Überbau nicht allein Reflex der Produktionsverhältnisse im Bewusstsein, sondern auch Impulsgeber für den Unterbau. Die Literaten sind auch die Stifter des Utopischen, also einer Summe von Vorstellungen, die die bisherige Gesellschaft kritisiert und eine andere antizipiert. Sie rechtfertigen die Verhältnisse nicht, sondern setzen ihre Entwürfe in das Konkret-Mögliche einer nicht fertigen Welt hinein. Die deutsche Misere liegt jedoch darin, dass dann abgebremst wird. Schiller, der Ehrenbürger der Französischen Revolution, schreibt dann zum Beispiel: Wenn sich die Völker selbst befreien, dann kann die Wohlfahrt nicht gedeihen. So klingt deutsche Misere. Leuchtende Genies brachen zusammen. So auch Luther, der die Bauern verraten hat. Dabei wurde der Protest, der auch im Wort Protestantismus steckt, in sein Gegenteil verkehrt. Die Freiheit des Christenmenschen bestand lediglich darin, sich einen gnädigen Herrn zu schaffen, wie im Himmel so auf Erden. Ein Gefangener, der mit den Fäusten gegen die Mauer stößt, hat jedoch nach Hegel bereits im selben Augenblick das Gefängnis überschritten, da er die Mauer transzendiert. So setzt Transzendieren des Gegebenen voraus, dass das Gegebene als Schranke erkannt und gegebenenfalls bekämpft wird. Spinoza sagt: Das Wahre ist der Index seiner selbst und des Falschen. Dieser Satz kann jedoch nur gelten, wenn das Wahre bekannt ist. Da wir aber nicht wissen, was der Mensch ist, können wir daraus niemals einen Index des Falschen machen. Wir können jedoch sagen: Das Wahre ist noch nicht das Zeichen seiner selbst, aber Zeichen des Falschen. Insofern ist Utopie kritisch. Obwohl sie nicht weiß, was der wahre Mensch ist.
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